Mick Scheuerle, unter anderem bekannt als Gitarrist der Winnender Punkband NoRMAhl, veröffentlichte am 05.06.20 sein zweites Soloalbum „Rainbow Turtles“. Eingängige Melodien, interessante Instrumentierung und tiefschürfende Lyrics arrangiert Scheuerle gemeinsam mit seiner Begleitband zu acht Songs, die sich wie verschiedenfarbiges Buntglas zu einem stimmigen Mosaik zusammenfügen.
Kennern der hiesigen Punkszene ist Mick Scheuerle längst kein Unbekannter mehr: seit über dreißig Jahren zerlegt er mit dem Winnender Quartett Normahl die Bühnen der Bundesrepublik. Doch wer glaubt, mit lauter, straighter Musik erschöpfe sich Scheuerles musikalisches Repertoire, der irrt. Gewaltig. Mit „Rainbow Turtles“ legt der gebürtige Winnender ein Album vor, das vor Vielseitigkeit nur so strotzt, dessen acht Songs bei aller Vielfalt aber nie die gemeinsame Umlaufbahn verlassen. Scheuerle und Band (Lena Wawrzynek, Joe Saling, Robin Stecher und Marius Günter) gelingt es, verschiedene Genres, Stimmungen, Einflüsse und Herangehensweisen zu einem stimmigen, schlüssigen, gleichzeitig aber abwechslungsreichen Gesamtwerk zu vereinen.
Gone long gone eröffnet das Album, ein Upbeat-Track mit abgezockter Gitarre und sirrender Orgel. Spätestens zum Refrain (Try to make it last/try to make the time stand still…), bei dem Scheuerle Unterstützung durch einen kleinen Chor erhält, hat der Song es sich in den Hirnwindungen gemütlich gemacht. So geht eingängig: keine Spur irgendwelcher Belanglosigkeiten, dafür aber Melodien mit Widerhaken und Mick Scheuerles lässiger Gesang.
Auf This must be love treten Scheuerle und Co. einen Schritt zurück, Drums und E-Gitarre haben Pause, die Rasseln werden ausgepackt. Der stählerne Klang der Akustischen legt das Fundament für Violine, Flöte und Mick Scheuerles markante, angenehm angeraute Stimme.
Die Akkordfolge, die den Beginn von Keep on keeping on markiert, erinnert gar an die Beatles, bevor sich der Song zu einer nachdenklichen Softrock-Nummer mit sparsamem, aber umso wirkungsvollerem Violinenspiel entfaltet. I don‘t know why I‘m happy but I am, singt Scheuerle. Da ist ihm der Hörer einen Schritt voraus, der durchaus weiß, wem er den akuten Zustand der Glückseligkeit zu verdanken hat: Mick Scheuerle nebst Band.
Auch Go with the flow schlägt zuerst ruhigere Töne an. Perfekte Musik zum Treibenlassen, zum Einswerden mit dem Flow. In der zweiten Hälfte nimmt der Song plötzlich Fahrt auf, das Schlagzeug schaltet einen Gang hoch, Geige und Piano spielen miteinander und gegeneinander an, bis es – Fadeout, Fadeout, Stille – plötzlich vorbei ist und der Finger sich wie von selbst zum Repeat-Knopf bewegt.
Bei Dance when you hear me ist der Name Programm. Sei es die Violinenmelodie mit folkig-mittelalterlichem Einschlag, die groovige Strophe, die von Scheuerles Reibeisenstimme und angezerrter E-Gitarre getragen wird, oder der ohrwurmverursachende Lalala-Refrain: einer oder mehrerer dieser drei Komponenten wird jeder zum Opfer fallen. Es kann, darf und muss getanzt werden.
Ein Hauch von Melancholie umweht die markante Stimme von Micks Duettpartnerin Ela Arweiler im Song Zeitgeist Blues. There‘s so much living to do before we die singen Scheuerle und Arweiler in dieser Ode ans Im-Jetzt-Leben, während Flöte und Gitarre die heiter-melancholische Spannung eines schönen Augenblicks, der nur so schön ist, weil er nicht für immer währt, Melodie werden lassen.
Wie geschmolzener Käse legt sich der cremige Sound der Leadgitarre über das von der Rhythmussektion geschaffene Fundament von Someday. Sinnt Scheuerle einer verlorenen Liebe nach, wenn er singt someday I will forget your face? Oder beschäftigt ihn vielmehr der zwar noch fern erscheinende, aber unaufhaltsam näher kommende Schlussakkord des Lebens?
Der Closing Track des Albums ist gleichzeitig der einzige, der nicht aus Mick Scheuerles Feder stammt. Beim Erklingen der ersten Töne werden sowohl Film- als auch Surfmusik-Aficionados aufhorchen – Momentchen mal, ist das nicht…? Richtig, Misirlou! Ursprünglich in der östlichen Mittelmeerregion entstanden, transformierte Dick Dale die Volksweise in ein energiegeladenes Zwei-Minuten-Stück aus federverhallten Single-Note-Stafetten. Quentin Tarantino machte Dales Version schließlich zum festen Bestandteil der Popkultur, indem er sie in den Soundtrack seines Kultstreifens „Pulp Fiction“ integrierte. Mick Scheuerle verzichtet darauf, den allzu einfachen, weil ausgetretenen Pfad entlangzuwandeln. Stattdessen interpretiert er die Vorlage auf ganz eigene Weise: Sein Misirlou ist ein schwerer Midtempo-Groover mit angeschrägter Leadgitarre und treibendem Schlagzeug. Ein letztes Beben statt ruhiger Töne zum Abschluss, wie es sonst ja ganz gerne mal gehandhabt wird. Gewöhnlich ist eben nur etwas für Leute, die es nicht besser können.
Mick Scheuerle und seine Begleitband können es besser – „Rainbow Turtles“ ist der beste Beweis