In Stuttgarts Schulstraße, gleich neben der „Nordsee“ packten Thomas Friz und Erich Schmeckenbecher, erstmals ihre Gitarren aus und präsentierten staunenden Passanten: Volkslieder. Frisch, frech –  neu und anders… Wir schreiben das Jahr 1972. Zupfgeigenhansel nannten sie sich. Paradiesvögel in einer Zeit des Glamrock und Prog. Was folgte, war eine atemberaubende Karriere – mit begeisterten Auftritten, Platten, die sich weit über einer Million Mal verkauften, Dutzenden TV Auftritten, auch in Shows wie „Einer wird gewinnen“ von H.J. Kulenkampff (1983) oder „Bei Bio“ (1984). Diverse Schallplattenpreise und viele Auszeichnungen folgten. Doch nach intensiven zehn Jahren Plattenkarriere war 1986 alles vorbei.

2022, zum 50-jährigen Jubiläumsjahr, will das kleine schwäbische Label D7 diese großen Erneuerer der Volksliedszene wieder in den Fokus bringen:  Außer digitalen Wiederveröffentlichungen der Original-Alben wird es auch eine „BEST OF“… 50 Jahre geben, Ehrungen und – wer weiß –  vielleicht findet sich noch das ein oder andere unveröffentlichte Kleinod… Manfred Gillig-Degrave, als Herausgeber der Musikwoche profunder Kenner der Musikszene, kennt das Duo seit Anbeginn:

„Die Siebziger waren ein spannendes musikalisches Jahrzehnt. Neben Stadionrock amerikanischer Prägung verschafften sich Reggae und Punk Gehör. Britische Bands wie Fairport Convention oder Steeleye Span setzten ihre Folkwurzeln unter Strom. Und während die Sex Pistols 1977 Anarchy In UK ausriefen, fanden hierzulande gut abgehangene Volkslieder jede Menge neuer Fans. Das lag zum großen Teil an zwei Schwaben, die sich Zupfgeigenhansel nannten. Das 1972 gegründete Duo gehörte in den Siebzigern zu den Wegbereitern der neuen deutschen Folkwelle.

 

DIE SEX PISTOLS DER NEUEN VOLKSLIEDSZENE

Friz und Schmeckenbecher waren die Sex Pistols der neuen Volksliedszene in der BRD. Sie rückten deutsches Liedgut in ein neues Licht, indem sie es mit einem zeitgemäßen Konzept wiederbelebten. Ihr Debütalbum, Volkslieder 1 (1976), ging deshalb weg wie geschnitten Brot und bescherte dem kleinen Verlag pläne, der sich als Sprachrohr der linken Opposition in der Bundesrepublik verstand, einen beachtlichen Bestseller, an dessen Erfolg das Duo mit Volkslieder 2 (1977) und Volkslieder 3 (1978) nahtlos anknüpften. Die Gesamtauflage aller neun Studioproduktionen von Zupfgeigenhansel erreichte weit über eine Million Exemplare und wurde so zum Vorbild vieler Kollegen in Ost und West, die ihre Lieder coverten und als Blaupause für eine eigene Karriere in Sachen Deutschfolk starteten. Auf ihren Konzertreisen durch Deutschland (West wie Ost) füllten die beiden Volksliedsänger die größten Hallen. Tourneen in Österreich, Schweiz, Holland, Belgien, Dänemark, Finnland, Portugal usw. schlossen sich an. Sie stellten deutsches Liedgut in einen neuen gesellschaftlichen Kontext, machten es populär und auch beim linken, kritischen Publikum wieder salonfähig.

Dieser Erfolg kam freilich nicht aus heiterem Himmel. Schon mit dem Namen Zupfgeigenhansel verwiesen Erich Schmeckenbecher und Thomas Friz auf eine lange deutsche Volksliedtradition, die sie kräftig entstaubten. Dabei erinnerten sie an den Zupfgeigenhansl (ohne e), ein Liederbuch der Wandervogel-Jugendbewegung, die Ende des 19. Jahrhunderts in Berlin entstanden war und sich schon Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Burgruine Waldeck im Hunsrück traf. Eben dort hatten ab 1964 unter dem Motto Chanson Folklore International die Waldeck-Liederfestivals den Grundstein für eine neue deutsche Liedermacher-und Folkszene gelegt. Dort waren Künstler wie Reinhard Mey, Hannes Wader, Katja Epstein, Walter Moßmann oder Franz-Josef Degenhardt aufgetreten, hatte man die amerikanische Folk- und Bürgerrechtsbewegung sowie das französische Chanson entdeckt und bis 1969 schon viel für die Renaissance des engagierten deutschsprachigen Liedes getan.

 

BEFREIUNG DES LIEDES VON DER ALTEN KRUSTE

Degenhardt sang damals: »Tot sind unsre Lieder, unsre alten Lieder. Lehrer haben sie zerbissen, Kurzbehoste sie verklampft, braune Horden totgeschrien, Stiefel in den Dreck gestampft.« Auf Burg Waldeck schrieb und sang man daher neue Lieder, und ein paar Jahre später befreiten Zupfgeigenhansel auch so manches »alte Lied« von der braunen Kruste. Vor allem aber nahmen sie die Volkslieder ernst, in denen von den Sorgen und Nöten des kleinen Mannes, von seinem Freiheitsdrang und seinem Aufbegehren gegen Klerus und staatliche Obrigkeit gesungen wurde. So rehabilitierten sie ein Genre, das die »braunen Horden« vereinnahmt und »völkisch« diskreditiert hatten.

Und sie erinnerten sich mit ihrer Musik an ihre Kindheit, in der, wie bei vielen Bundesdeutschen der Nachkriegsgeneration, die alten Lieder im Familienkreis gesungen wurden. Erich Schmeckenbecher, geboren am 31. März 1953 in Stuttgart, sagt, für ihn habe alles mit Volksliedern begonnen: »Sie begleiten mich schon mein ganzes Leben. Mehr oder weniger. Mit dabei waren aber auch immer komische Gefühle, Skepsis und Misstrauen. So richtig wohl war mir mit diesen >Liedern des Volkes< selten. Woher diese Ungewissheit kam, war mir schleierhaft.«

Anfang der 70er Jahre ging er der Sache auf den Grund. Denn: »Wer die Geschichte eines Liedes nicht kennt, wird es nie mit einer Haltung singen können, die dem Lied gerecht wird.« Erfand – »sprichwörtlich im Sperrmüll auf der Straße«, wie er erzählt – »ein kleines Volks-Liederbuch von einem gewissen Hans Breuer. Es hieß der Zupfgeigenhansl. Ich war begeistert. Diese Euphorie führte mich zu Thomas Friz, mit dem ich dann in Bibliotheken auf die Suche nach weiteren Volksliederschätzen ging.«

1974 trat das Duo mit solchem Repertoire erstmals live in Folk Clubs auf. Es war eine spannende musikalische Zeit; mit Gruppen Elster Silberflug oder Ougenweide und Liedermachern wie Hannes Wader, Christof Stählin, Dieter Süverkrüp oder Walter Moßmann fand die alternative deutsche Volksmusik auch außerhalb der Universitäten und Szeneclubs ein immer breiteres Publikum. Dazu trug in Baden-Württemberg zum Beispiel das Tübinger Folk- und Liedermacher Festival bei, das der Club Voltaire jedes Jahr veranstaltete und das sich ab 1975 zum wichtigsten Kristallisationskern der Szene entwickelte.

Um was es dieser Szene ging, das brachten Zupfgeigenhansel auf den Punkt. Schmeckenbecher formuliert es so: »Es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit, wie immer diese auch gestaltet war. Man kann nur wissen wo man hinwill, wenn man weiß, wo man herkommt.«

Und ganz in diesem Sinne nahm das Duo im April und Mai 1976 für sein Debütalbum Lieder auf wie Der arme Bauer oder Es wollt ein Bauer früh aufstehn, Ich bin Soldat, doch bin ich es nicht gerne oder Lied der Pariser Kommune. Auch den Klerus nahm man mit dem Stück Mönch und Nonne aufs Korn. Das musikalische Konzept war dabei ebenso klar wie bündig: Thomas Friz spielte Gitarre und Flöte und sang einfach wunderschön. Erich Schmeckenbechers Stimme klang rauer und brüchiger und sorgte dafür, dass die zweistimmigen Gesangspassagen energisch und gut geerdet daher kamen. Zudem garantierte Schmeckenbecher mit Gitarre, Mandoline, Akkordeon, Xylophon und Krummhorn für Abwechslung in den Arrangements.

 

ZWEISTIMMIGE GESANGSPASSAGEN, ENERGISCH UND GUT.

Auf Volkslieder 2 führten die beiden das Konzept fort: mit Liedern wie Soldatenschicksal (die Musik zum Text schrieben sie selbst), Papst und Sultan, Das Bürgerlied oder Der Karmeliter. Die Aufnahmen entstanden zusammen mit dem legendären Tonmeister und Produzenten Conny Plank (Kraftwerk, Kraan, Guru Guru, Eurythmics, Ulta Vox, Gianna Nannini, Brian Eno, Michael Rother u.v.a.m.) in dessen Studio, einem ehemaligen Schweinestall im ländlichen Neunkirchen-Wolperath bei Köln. Im Dezember 1977 und Januar 1978 nahm man, wiederum in Conny’s Studio, das Album Volkslieder 3 –Im Krug zum grünen Kranze auf, bei dem Erich Schmeckenbecher auch dezent mit Drums und Synthesizer hantierte. Neben sechs traditionellen Volksliedern fanden sich auf dem dritten Teil der Serie auch sechs Stücke von Friz oder Schmeckenbecher, unter anderem Ein grüner Berg, ein dunkles Tal (Thomas Friz), Fordre niemand, mein Schicksal zu hören, Ein stolzes Schiff und Wenn ich einmal der Herrgott wär(von Erich Schmeckenbecher).

Begleitend zur Volkslieder-Trilogie veröffentlichten die beiden 1978 unter dem Titel Es wollt ein Bauer früh aufstehn ein Liederbuch, von dem der Verlag pläne rund 300.000 Exemplare verkaufte – ein phänomenales Verkaufsergebnis. Und speziell im Osten (damals DDR) beliebter war als die Bibel im Vatikan. 1984 erschien, ebenfalls bei pläne, mit Kein schöner Land in dieser Zeit ein zweites Liederbuch.

 

1978: KÜNSTLER DES JAHRES – ENSEMBLE POP NATIONAL

Nach der Volkslieder-Trilogie, dank derer Zupfgeigenhansel 1978 von der Deutschen Phono-Akademie als »Künstler des Jahres – Ensemble Pop national« ausgezeichnet wurden (ein Vorläufer des späteren „ECHO“), war die Zeit reif für Veränderungen. Und so führte der Weg zu Album Nummer vier, das unter dem Titel Jiddische Lieder (’ch hob gehert sogn) 1979 veröffentlicht wurde, und mit dem sich Zupfgeigenhansel als Vorreiter der Klezmerbewegung in Deutschland profilierten. Bei den elf Songs, die von Conny Plank und Zupfgeigenhansel produziert wurden, wirkten neben Friz und Schmeckenbecher noch Bruno Schaab am Kontrabass und Lutz Berger an der Geige mit. Mit Berger und dem Bassisten Bruno Brandenburger gingen Zupfgeigenhansel dann auch auf Tournee; ein Mitschnitt des Programms erschien 1980 bei pläne unter dem Titel Eintritt frei.

 

VORREITER DER KLEZMERBEWEGUNG IN DEUTSCHLAND

Anfang der Achtziger veränderte sich die musikalische Landschaft in der Bundesrepublik, das Interesse des Publikums an der Folk- und Liedermacherszene ließ nach, dafür boomte die Neue Deutsche Welle. Für Zupfgeigenhansel war das Herausforderung und Chance zugleich, schließlich hatten sich Schmeckenbecher und Friz sowieso schon in Richtung Folkrock und Klezmer bewegt und erkannt, dass es um mehr ging als um die Auffrischung des traditionellen Liedguts.

In dieser Situation kam Dieter Dehm ins Spiel: In den Siebzigern war er unter dem Namen Lerryn als politischer Liedermacher mit SPD-Parteibuch und mit gutem Draht zu Plattenfirmen unterwegs gewesen. Der Produzent und spätere Bundestagsabgeordnete (Die Linke) aus Frankfurt gründete unter dem Dach des Kölner Majors EMI/Electrola sein eigenes Label Musikant und nahm Zupfgeigenhansel unter seine Fittiche. Ende 1982 erschien bei EMI das Album Miteinander, das mit Songs wie Waldfest, Bella Ciao oder Miteinander einige schmissige Gassenhauer enthielt; Waldfest wurde auch viel im Radio gespielt, und Zupfgeigenhansel blieben trotz Neuer Deutscher Welle im Geschäft.

 

TROTZ NEUER DEUTSCHER WELLE GUT IM GESCHÄFT

Doch trotz Major-Vertriebsapparat fielen die Verkäufe der nächsten EMI-Alben – Kein schöner Land (1983) und Liebeslieder (1984) – hinter den Erwartungen zurück. Und auch die internen Spannungen nahmen zu. Schmeckenbecher, der schon früh die akustische Folkbasis um komplexere Arrangements erweitern wollte und gern auch mal mit Rockelementen liebäugelte, war stets auf der Suche nach neuen Inspirationen und Themen. Ihr letztes Album „Andre, die das Land so sehr nicht liebten“  (1985) lies nochmals aufhorchen indem sie ein vielbeachtetes Portait des österreichischen Dichters Theodor Kramer (über 12 000 geschriebene Gedichte) mit eigenen Vertonungen in musikalisch neuem Gewand einem größeren Publikum vorstellten, welches später einen wahren Kramer-Vertonungs-Boom unter Kollegen in Ost und West auslöste.

Für Erich Schmeckenbecher, als Produzent und Musiker ein Perfektionist, gehörte Veränderung zum künstlerischen Konzept. Sein introvertierter Partner Thomas Friz, am 5. März 1950 geboren, war schon als Kind bei den Stuttgarter Hymnus-Chorknaben mit geistlicher Musik auf der Bühne gestanden und hatte es mit solchem Sturm und Drang vermutlich nicht immer leicht. Und so kam es im Frühjahr 1986 zum Bruch: Man gab das Ende von Zupfgeigenhansel bekannt.

Ihr letztes Konzert gaben sie zusammen mit Pete Seeger in der Bochumer Zeche.

Für die vielen Fans war diese Nachricht ein Schock – und es war schwer vorstellbar, dass die beiden Musiker jeder für sich an die glorreiche Zeit mit Zupfgeigenhansel würde anknüpfen können. Und in der Tat gab es erst einmal Zwist mit Dieter Dehm und urheberrechtliche Auseinandersetzungen. Schlimmer aber wirkte sich die Trennung auf der persönlichen Ebene aus: Immerhin hatten sich Schmeckenbecher und Friz von den Erlösen ihrer Platten und Tourneen Ende der Siebzigerjahre ein altes Bauernhaus gekauft, in dem sie jeder eine Hälfte bewohnten. Rattenharz heißt der Ort; er liegt auf der südlichen Anhöhe des Remstals östlich von Stuttgart und gehört zur Stadt Lorch. Eine kurvige Straße führt durch den Wald bergan, oben öffnet eine Hochfläche den Blick über die Schwäbische Alb; bei schönem Wetter geht der Blick bis hin zum Hohenstaufen im Südosten. In unmittelbarer Nachbarschaft des Golfclubs Hetzenhof steht das Haus, in dem Erich Schmeckenbecher nun seit vielen Jahren mit seiner Lebensgefährtin wohnt, in seinem Studio Musik macht und gern Besucher bekocht. Thomas Friz ist irgendwann umgezogen und lebt einige Kilometer Luftlinie entfernt in einem Nachbardorf. Ab 1986 ging er mit Soloprogrammen auf Tournee; seit den 90er Jahren veröffentlichte er mehrere vielbeachtete CDs mit Weihnachts-, Kinder- und christlichen Liedern, zuletzt – 2008 – zusammen mit dem Dresdner Quartett Pankraz eine CD mit Liedern und Texten von unter dem nationalsozialistischen Regime verfolgten Dichtern.

Auch Erich Schmeckenbecher hatte nach dem Ende von Zupfgeigenhansel erst einmal eine schwierige Phase. Denn als sensibler Musiker, Songschreiber, Komponist und Produzent, als gefühlvoller Grantler und Grübler ließ er sich nie auf faule Kompromisse ein und nahm dabei auch in Kauf, dass er im Unterhaltungsbetrieb keine Rolle mehr spielte – von den Medien ganz zu schweigen. Mit seinem schwäbischen Dickkopf, seinem Hang zur Perfektion und seiner unerschütterlichen Vision einer Verbindung romantischer Volksliedtradition mit Pop und Rock stieß er oft genug auf Unverständnis und Ablehnung. Doch selbst in schwierigsten Zeiten konnte ihn nichts von seiner Überzeugung abbringen.

Was er sich unter dem Begriff »Polk« vorstellte, den er als Fusion aus „Polka« und »Folk« erfunden hatte, setzte Schmeckenbecher sieben Jahre nach dem Ende von Zupfgeigenhansel mit der Gründung der Gruppe Erich & das Polk in die Tat um. Und das erfolgreich. Das erste Album, eine Eigenproduktion, u.a mit Stefan Hiss, wurde u.a mit dem „Preis der Deutschen Schallplattenkritik“ ausgezeichnet. Deren zweites Album, Wir sind das Polk, verschlang einen beeindruckenden sechsstelligen Produktionsetat, erschien 1994 bei der Hamburger Plattenfirma eastwest und verkaufte leider nicht genug Exemplare, um die Kosten wieder einzuspielen.

„Erich Schmeckenbecher, der einst bei Zupfgeigenhansel deutsche Musikgeschichte schrieb und mit seinem Projekt „ERICH und das POLK“ die Grenzen der deutschsprachigen Popmusik neu absteckte…“ (Musikwoche 1-2/96) arbeitet fortan solo weiter. Er gründete mit Polk Musik seinen eigenen Musikverlag und sein eigenes Label. Er schreibt eigene Lieder und vertont Gedichte von Klassikern wie Friedrich Schiller, Novalis oder Joseph von Eichendorff. Er hat mehrere Alben veröffentlicht, mit denen er die Geschichte von Zupfgeigenhansel fortschrieb. Er versteht sich als Romantiker und sagt dazu: »Wer mich kennt, weiß, dass es sich dabei nicht um den heute vielerorts praktizierten pseudo-romantisierenden Kitsch handelt, sondern um eine tief in uns verwurzelte Sehnsucht und Hoffnung, allerdings mit der geballten Faust in der Tasche.« Romantik definiert er als »Sehnsucht nach einer besseren Welt«. Und »ein Ende der Sehnsucht« sei »das Ende des Lebens«, sagt er.

Mit Zupfgeigenhansel und mit seinen Soloproduktionen hat Erich Schmeckenbecher diese Sehnsucht aufs Überzeugendste vertont.!

Manfred Gillig-Degrave

Nachtrag: Nach vielen Jahren Funkstelle haben Friz und Schmeckenbecher anlässlich der Produktion eines Dokumentarfilmes sich 2016 wieder zusammengefunden.

 

 

FACHLEUTE UND FANS ÜBER ZUPFGEIGENHANSEL*

»EIN ENDE DER SEHNSUCHT IST DAS ENDE DES LEBENS«

 

Franz Müntefering, ehemals SPD-Vorsitzender:

Die Lust am Volkslied ging mir nie verloren, ob Kirche, Zeltlager oder Sportverein. Auch nicht in der SPD, wo es Arbeiterlied heißt. Jedenfalls: Als ich Zupfgeigenhansel entdeckte, fand ich sie prima. Ich verstand, was sie sangen, ich konnte mitsingen, und vieles hatte die Qualität von Ohrwürmern.

 

Thomas Leif, Journalist und Autor:

Zupfgeigenhansel haben etwas Großartiges erreicht. Sie haben in einer besonderen Zeit verschüttetes Liedgut reformuliert und vital verbreitet. Ein bleibendes Verdienst.

 

Karl Adamek, Musiksoziologe und Mitgründer des Internationalen Netzwerks zur Förderung der Alltagskultur des Singens e.V. Il canto del mondo:

Mit Thomas Friz und dem Duo Zupfgeigenhansel hat Erich Schmeckenbecher in der nachvollziehbaren Singabstinenz der Nachkriegsjugend, die sich in der Folge des manipulativen Generalmissbrauchs des gemeinsamen Singens durch die Nazis in der Bundesrepublik Deutschland ausgebreitet hatte, seit den 1970er Jahren bis heute wesentlich dazu beigetragen, dass deutsche Lieder und gemeinsames Singen nicht schon allein wegen der Sprache in Generalverdacht kamen. Nach dem Nachkriegsverstummen einer ganzen Generation begann auch durch seine Arbeit eine vorsichtige Rückbesinnung auf die Vielfalt unserer demokratischen Liedtradition.

 

 

ERICH SCHMECKENBECHER  ÜBER ROMANTIK

Als ich mich mit Volksliedern, und somit auch mit der eigenen Geschichte, intensiver beschäftigte, die gegebene Oberflächlichkeit in ihren vielseitigen realen Gestalten durchbrach, bekam ich eine erste, leise Ahnung eines Begriffes, der schwer belastet, stigmatisiert oder völlig verballhornt nur noch am Rande der Gesellschaft dahinvegetierte. Intellektuell als »von schlichtem Gemüt« abgetan und nebenbei verantwortlich für die entsetzlichen Schrecken des 20. Jahrhunderts: Romantik, weltfremd und vernunftabweisend, das Dumme und Böse schlechthin. Davon, dass es eine Zeit mit einer geistigen Revolution gleichen Namens gab, hatte ich nie irgendwo etwas gehört. Schon gar nicht, dass unter Romantik eine geistige Haltung zu verstehen ist. Sie wurde und wird bis heute in bestimmten Kreisen immer noch als rein ästhetische Kategorie dargestellt, was sie eigentlich nie war. Sie war immer eine historische Kategorie. Diese Erkenntnisse kamen aber nicht über Nacht.

Historische Zusammenhänge wurden mir immer klarer. Vor allem, wer an welchem Rad und warum gedreht hatte, um den Lauf der Geschichte in seinem Sinne zu lenken. Das »gemeine« Volk hatte damit recht wenig zu tun, es fand aber seltsamerweise alles in seinem Namen statt, und es durfte natürlich, wie immer, auch den Kopf für alles hinhalten.

Die Sehnsucht, auf eine eigene Kultur und Geschichte zurückgreifen zu können, eine Identität nicht nur per Ausweis zu besitzen, ist wohl die Sehnsucht jedes Menschen auf dieser Welt, unabhängig von Herkunft und Hautfarbe. Denn es gibt keine Zukunft ohne Vergangenheit, wie immer diese auch gestaltet war. Man kann nur wissen, wo man hinwill, wenn man weiß, wo man herkommt. Lernen, verändern, verarbeiten, Neues denken, ausprobieren und wenn es sich bewährt, machen: All das gehört dazu. Das geht aber nur, wenn man mit sich selbst im Reinen ist. Es setzt das »einheitliche Ganze« voraus. »In uns, oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft.« Das erkannte schon Novalis vor über 200 Jahren.

Romantik ist für mich die Eigenschaft, über den eigenen Tellerrand hinaus zu denken und nicht denselben mit dem Horizont zu verwechseln. Die in unserer Welt weit verbreitete pragmatisch verkürzende Formel »Wahr ist, was nutzt« sehe ich dagegen als eine Art Denk-Spastik, also das genaue Gegenteil.

Romantik ist eine Geisteskraft, eine Haltung, und dazu, frei nach Goethe: der Triumph der Empfindsamkeit. Speziell meine Romantik will dem Pragmatismus des Nutzens auf den Pelz rücken und sämtliche pseudoromantischen Idyllen des Spießbürgertums, zum Beispiel den röhrenden Hirsch und Konsorten, verspotten. Eine Sehnsucht nach Ehrlichkeit, nach Werten und Orientierung, nach einer besseren Welt, die nie aufhört. Denn ein Ende dieser Sehnsucht wäre für mich auch ein Ende des Lebens. Das ist meine Welt! Was denn sonst?

 

PREISE UND AUSZEICHNUNGEN

1978 Preis der Deutschen Phonoakademie – (später ECHO genannt)

Künstler des Jahres – Ensemble Pop national

1978 Deutscher Schallplattenpreis: Volkslieder 3

1979 Deutscher Schallplattenpreis: Jiddische Lieder

1985 Deutscher Schallplattenpreis: Andre, die das Land so sehr nicht liebten

1992 Preis der deutschen Schallplattenkritik: Immer wieder (Erich & Das Polk)

2005 Preis der deutschen Schallplattenkritik: Leben ist Poesie (Erich Schmeckenbecher)

2007 Liederbestenliste, CD des Monats Dezember: Erich Schmeckenbecher 2007

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